- romanische Architektur: Gewölbe, Wände, Türme und Fassaden
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So perfekt und leistungsfähig der römische Gewölbebau auch war, so blieb doch die altchristliche Basilika als Bautypus wegen ihrer geringen Mauerstärken und der instabilen Stellung der Hochwände über langen Säulenreihen grundsätzlich ungewölbt. Kleinere Räume in Krypten und Westbauten, aber auch Apsiden mit großer Spannweite oder Zentralbauten - etwa die Pfalzkapelle in Aachen - wurden dagegen bereits in der vor- und frühromanischen Architektur gewölbt. In Nordspanien und Südwestfrankreich setzte der Gewölbebau schon im späten 10. und frühen 11. Jahrhundert bei kleineren Kirchen ein, während in dieser Zeit bei den großen Basiliken des Nordens nur Seitenschiffe und Emporen gewölbt wurden.Die Einwölbung hoher, weit gespannter Räume - ein grundlegender Beitrag der Romanik zur Architekturgeschichte - begann europaweit erst im letzten Viertel des 11. und am Anfang des 12. Jahrhunderts. Man hat dies mit einer zunehmenden Perfektionierung der Bautechnik und der statischen Erfahrungen zu erklären versucht, die sich in der Tat an den Bauwerken ablesen lassen. Ein Anstoß mag aber auch von der mangelhaften Feuersicherheit der offenen Dachstühle ausgegangen sein, die bei einem Brand zur Unbenutzbarkeit der Kirche und zur Zerstörung des Inventars führen konnte. Auch mag die Absicht bestanden haben, den Kontrast zwischen dem hölzernen Raumabschluss und den immer aufwendiger gestalteten Wandgliederungen aus Stein zu harmonisieren. Für die Deutung des Gewölbes als steinernem Altarbaldachin auf vier Stützen fehlen dagegen zeitgenössische Schriftquellen. Die Orientierung am römischen Gewölbebau ist nicht auszuschließen, doch dürfte er allenfalls für Kreuzgratgewölbe, nicht aber für die im Südwesten vorherrschenden Tonnengewölbe gelten, die zunächst wohl nur das in Stein umsetzen, was es zuvor in Form der Holztonne gegeben haben könnte. In Italien, wo die fast geheiligte Tradition der altchristlichen Basilika mit offenem Dachstuhl - nicht zuletzt wegen der immer wieder verwendbaren Säulenspolien - besonders mächtig war, hatte der Gewölbebau nur geringe Chancen; der Norden mit seinen Pfeilerbasiliken und größeren Mauerstärken zeigte sich entwicklungsfähiger.Tonnengewölbe, wie sie in den Wallfahrtskirchen Südwestfrankreichs dominieren, erfordern wegen ihres enormen Seitenschubs die Widerlagerung durch hohe Seitenschiffe. Daher herrschen hier Hallenkirchen vor, deren steile Mittelschiffe meist über Emporen beleuchtet werden. Das tief in den Raum eingreifende Kreuzgratgewölbe, die rechtwinklige Durchdringung zweier Tonnen, konzentriert dahingegen seine Druck- und Schubkräfte auf die Auflagerpunkte und legt eine Verstärkung dieser Pfeiler nahe. Fast zeitgleich zu den Gratgewölben entwickelte sich - in der Normandie und im normannischen England kurz vor 1100, aber auch am Oberrhein um 1090 und in Oberitalien nach 1100 - das Kreuzrippengewölbe, bei dem die Grate durch diagonal gespannte Gurte unterlegt sind. Gurtbögen unter Tonnen- und Gratgewölben sind zwar statisch genauso wenig notwendig wie die Vorlagen, die sie zu tragen scheinen; doch gerade beim Tonnengewölbe, das nicht in den Raum eingreift, bilden sie die entscheidende Untergliederung in schmale querrechteckige Einheiten, die Joche.Die Konstruktion von Rundbogen erfordert quadratische Grundrisse für das einzelne Joch. Entsprechen einem quadratischen Mittelschiffjoch in den schmalen Seitenschiffen jeweils zwei kleine Joche mit halber Seitenlänge, spricht man vom »gebundenen System«. Seit der nachträglichen Einwölbung von Bau II des Doms in Speyer bildet dieses Prinzip die Grundlage des Gewölbebaus im deutschsprachigen Raum und in Oberitalien. Nur im Nordwesten Burgunds gibt es eine kleine Gruppe gratgewölbter Bauten mit querrechteckigen Jochen und gleichmäßiger Jochfolge in Mittel- und Seitenschiffen; in der Normandie experimentierte man von Anfang an neben dem gebundenen System mit querrechteckigen Jochgrundrissen und gleichmäßiger Schrittfolge mit sechsteiligen Gewölben.Es gehört zu den überraschenden Erkenntnissen unseres Jahrhunderts, dass der Wunsch nach einer vertikalen Wandgliederung unabhängig von und vor allem zeitlich vor den Einwölbungen entstand. Dies gilt für die normannischen Kirchen seit der Mitte des 11. Jahrhunderts, vor allem aber auch für die großen Kathedralen und Klosterkirchen im normannischen England, wo man nach der Kathedrale von Durham auf Wölbungen verzichtete, aber am Dienstsystem und Stützenwechsel des gebundenen Systems festhielt. Im Sinne der Vertikalisierung und Rhythmusbildung der flächigen Wand durch Vorlagen ist auch das System von Bau I in Speyer zu verstehen, obwohl hier Pfeilervorlagen und Dienste durch Blendarkaden zusammengefasst sind und damit den Bezug zur Antike andeuten. Auch die langen Dienste unter den Tonnengurtbögen der südwestlichen Emporenhallen sind nicht ohne Verbindung zu diesen Tendenzen zu sehen.Als Mittel zur Gewölbewiderlagerung, zur Steigerung der Raumhöhe sowie zur Auflösung und Bereicherung der Wandgliederung dienten die Emporen. Ihre Öffnungen zum Mittelschiff hin können groß sein und den unteren Arkaden entsprechen, können durch ein oder zwei Säulchen, die ein Bogenfeld tragen, unterteilt oder auf kleine Säulenarkaden reduziert sein. Unscharf ist die Abgrenzung der Empore zum Triforium, einer vornehmlich durch Blendarkaden erzeugten, niedrigen Gliederungszone zwischen Arkaden und Obergaden vor den Dachstühlen der Seitenschiffe.Möglicherweise als Rückwirkung des Gewölbebaus ist vor allem in der spätromanischen Architektur eine Tendenz zur Steigerung von Mauerstärken zu verzeichnen - aber auch zu ihrer Aushöhlung durch Nischen, Laufgänge und Kapellen. Der Laufgang in der Mauerstärke, ein Element besonders der normannischen Architektur, tritt dort noch vor den großen Gewölben ab der Mitte des 11. Jahrhunderts auf - sogar im Festungsbau bei Donjons und Keeps. Bei Saint-Etienne in Caen wird er erstmals innen vor den Fenstern des Obergadens angeordnet und behält diesen Platz bei nahezu allen größeren Bauten der Normandie und Englands bis weit in die Frühgotik hinein bei. Manchmal erscheint er nur als Laufgang in den Fensterlaibungen, in der Regel öffnet er sich aber mit Arkaden ins Mittelschiff; in der Spätromanik kann er sogar als fast manieristisches Ziermotiv vor den Emporen erscheinen. In Querhäusern, Westbauten oder Vierungstürmen können bis zu vier Laufgänge übereinander angeordnet sein. Die Zweischalenstruktur wurde später mit dem als Laufgang begehbaren Triforium zu einem Charakteristikum der nordfranzösischen Frühgotik.Die dem Laufgang entsprechende Lösung der deutschen, oberitalienischen und toskanischen Architektur ist die den Außenbau meist unter dem Kranzgesims der Apsis schmückende Zwerggalerie, am Niederrhein mit Längstonne und Brüstung, am Oberrhein und in Italien stets mit radial gestellten Tonnengewölben über Steinbalken. Sie tritt zuerst in Trier (1040) und unterhalb des Kranzgesimses am ganzen Bau II von Speyer (ab 1082) auf, Vorformen finden sich aber vornehmlich in Oberitalien. In der toskanischen Architektur wurde sie zum Standardmotiv, das mit bis zu vier übereinander liegenden Galerien die Westfassaden schmückt, aber auch Türme - etwa den »Schiefen Turm« von Pisa - umgeben kann. Zu den komplizierteren Zweischalenstrukturen mit Laufgängen gehört, in seiner Kunstlandschaft völlig einzigartig, auch das Baptisterium in Florenz.Abgesehen von der kölnisch-niederrheinischen Architektur und den großen Bischofskirchen am Oberrhein bleibt die Baukunst der deutschsprachigen Gebiete wie auch diejenige Mittel- und Süditaliens eher an den frühchristlich-antik geprägten Vorbildern orientiert. Dies belegen nicht nur die flach gedeckten Säulenbasiliken, sondern beim Gewölbebau auch der Verzicht auf zusätzliche, die Wand auflösende Strukturen. Man kann darin vielleicht eine Parallele zum Rückbezug des Kaisertums auf die Antike erblicken. Dieser tief greifende Unterschied zur normannisch geprägten, aber auch zur burgundischen, west- und südwestfranzösischen Architektur lässt sich vor dem Hintergrund der vereinheitlichenden gotischen Architektur als gemeinsam romanisch definieren.Bei den frühchristlichen Basiliken wurde - im Gegensatz zum antiken Tempel - relativ wenig Wert auf die Erscheinung des Äußeren gelegt, weil das Innere als Versammlungsraum der Gemeinde der eigentlich bedeutsame Bauteil war. Der Gebrauch von Glocken führte immerhin zur Errichtung isoliert stehender Glockentürme, die man in Nordeuropa auch locker mit dem Bauwerk verband. Aus karolingischer Zeit kennt man Treppentürme und das Bauwerk bekrönende Aufsätze, die wohl aus Holz waren. Turmartige Aufbauten wurden auch über den repräsentativen Westbauten errichtet. Da sich überdies zwischen Querhaus und Apsis das Altarhaus schob und im heutigen Frankreich Chorumgänge und Radialkapellen an das so betonte liturgische Zentrum hinzutraten, entstanden allmählich schon vor der Romanik vielteilige, plastisch allansichtige Komplexe, die sich zunächst additiv aus stereometrisch bestimmbaren Körpern zusammensetzten.Am Beginn der Romanik wurden dann die Türme in den Kirchenbau einbezogen. Sie waren nun keineswegs nur Träger von Glockenstühlen oder verlängerte Wendeltreppen zum Begehen von Emporen und Dachstühlen, sondern sehr bewusst gesetzte architektonische Zeichen für die Allmacht Gottes und den Anspruch seiner Kirche. Die Bevorzugung der Doppelturmfassade in der Gotik verstellt dabei leicht den Blick für die Vielgestaltigkeit der Formen und Lösungen der beiden vorangehenden Jahrhunderte. So vereinen sich etwa aufgrund der Zweipoligkeit der Doppelchoranlage von Sankt Michael in Hildesheim zwei Vierungstürme mit vier jeweils vor den Querarmen stehenden schlanken Treppentürmen zu einer sechstürmigen Anlage, ähnlich der um 100 Jahre jüngeren Klosterkirche Maria Laach. Am ersten Dom von Speyer wurden nachträglich Türme in die Winkel zwischen Altarhaus und Querhaus eingestellt, um das liturgische Zentrum hervorzuheben; wahrscheinlich kam damals auch schon ein Vierungsturm hinzu, sodass sich die für Deutschland so charakteristische Dreiturmgruppe aus einem niedrigeren dicken Mittelturm und schlankeren Begleitern ergab. Eine Dreiturmgruppe als Westbau ist etwa an Sankt Maria im Kapitol in Köln zu finden. Die von Türmen flankierte Apsis weist schon der Burchard-Dom in Worms (1020) auf und erscheint auch noch am Dom in Bamberg (nach 1211). Im Bereich des alten Sachsen und der Altmark dominierte im 11. und 12. Jahrhundert der schildmauerartige Querriegel als westlicher Abschluss, der im 12. Jahrhundert üblicherweise von zwei achteckigen Türmen bekrönt wird, die aber im Unterbau nach wie vor als Querriegel miteinander verbunden sind. Am Rhein gab es daneben bereits im frühen 11. Jahrhundert die Doppelturmfront (Straßburg, 1015), nicht selten mit zusätzlichen angeschobenen kleinen Treppentürmen. Doppelturmfassaden, bei denen die Turmschäfte im Unterbau mit Strebepfeilern markiert werden und somit zur klassischen Dreiteilung der Fassade führen, kennt man aus Caen oder Durham.In England gibt es daneben auch andere turmbewehrte Fassadentypen - etwa in Lincoln einen riesigen, weit ausladenden Querriegel mit gewaltigen, zur Mitte hin gestaffelten aufgeblendeten Bogentoren beziehungsweise Nischen oder in Ely ein westliches Querhaus mit hohem Mittelturm und vier Rundtürmen an den Kanten. Im Reichsgebiet trifft man auf eine ganze Reihe zum Teil turmbewehrter Westbauten, in denen die karolingischen Westwerke weiterleben. Diese querhausartigen Baukörper dienten als Chöre oder nahmen im Untergeschoss große Eingangshallen auf. In all diesen Fällen handelt es sich nicht um Fassaden im engeren Sinne, sondern um dreidimensionale Baukörper gleicher Funktion. Ihnen entsprechen in Frankreich der westbauartige Einzelturm mit Eingangshalle oder Portal und die dreischiffigen Vorkirchen, wie sie vornehmlich in Burgund anzutreffen sind.Neben dem turmbesetzten Baukörper ist in ganz Europa die turmlose Querschnittsfassade zu finden, die in Italien, aber auch im Süden und Westen Frankreichs dominiert. Besonders üppig ist sie mit ihren Marmorverkleidungen in der Toskana ausgestaltet, im pisanischen Bereich darüber hinaus mit viel geschossigen Zwerggalerien. Hier zeichnete sich alsbald die Tendenz ab, die Fassade als dünne Schauwand vom dahinter liegenden Baukörper zu lösen. So entwickelte sich am Anfang des 12. Jahrhunderts die oberitalienische Schirmfassade, die einen Giebel über die Breite aller drei Schiffe spannt, ohne das Giebeldreieck vom Fassadenunterteil durch Gesimse zu trennen; die Dreizahl der in der Größe gestaffelten Portale entspricht den Schiffen. Bei den südwestfranzösischen Hallenkirchen sind die auch hier gelegentlich auftretenden, schirmartigen Fassadenbildungen sehr viel plastischer gegliedert und zeigen mit mächtigen Halbsäulenbündeln an den Kanten die Absicht an, zum Bauwerk als Ganzem überzuleiten.Aus städtebaulichen Gründen, aber auch wegen der Allansichtigkeit wurden nicht selten die Langseiten der Kirchen besonders reich gestaltet oder aber die Apsiden in besonderer Weise hervorgehoben. Ab dem Ende des 11. Jahrhunderts ist im Rheinland die Absicht zu erkennen, die stets nach Osten zum Rhein hin gelegenen Apsiden zu einer fassadenartigen Wirkung zu steigern. Sämtliche Kölner Kirchen bekamen in der zweiten Hälfte des 12. und im 13. Jahrhundert neue Apsiden, die in zwei Geschossen von Blendarkaden umstellt sind und unter Einbeziehung der flankierenden Türme abschließen. In Oberitalien und Südwestfrankreich wurden die Apsiden ebenso wie in der Normandie mit allen denkbaren Variationen von viel geschossigen Blendarkaden, Laufgängen und vorgelegten Säulendiensten prunkvoll bereichert. In der sonst sparsamen Auvergne stattete man Chorumgänge und Radialkapellen mit reichen Teppichmustern aus verschiedenfarbigen Steinen aus, wie dies sonst nur bei den Fußböden der Innenräume zu beobachten ist.Vom Ende des 12. Jahrhunderts an werden die in der Frühromanik meist abstrakt reduzierten Kapitelle Träger nicht nur einer reichen Bauzier, sondern auch - vor allem in Frankreich - von Skulpturen. Neben den hölzernen, zum Teil blechverkleideten Ausstattungsstücken im Inneren und gelegentlichen Dekorationen von Türflügeln vollzieht sich an den Bogenfeldern der Portale die erneute Zuwendung Europas zu der seit der Antike untergegangenen Steinskulptur.Prof. Dr. Dethard von WinterfeldBernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Katalog der Ausstellung Hildesheim 1993, herausgegeben von Michael Brandt und Arne Eggebrecht. 2 Bände. Hildesheim u. a. 1993.Kubach, Hans Erich: Romanik. Neuausgabe Stuttgart 1986.Die Kunst der Romanik. Architektur, Skulptur, Malerei, herausgegeben von Rolf Toman. Köln 1996.
Universal-Lexikon. 2012.